Zweiter Stolperstein für Antifaschisten verlegt
Und wieder waren Schülerinnen und Schüler der Liebigschule dabei…
Neben fünf weiteren wurde bei der jüngsten Aktion der Stolpersteingruppe Gießen auch eine Gedenkstätte für den Gießener Widerstandskämpfer Heinrich Creter geschaffen.
Gießen. Heinrich Creter war kein ungewöhnlicher Mann. Der 1900 in Ludwigshafen Geborene Schlosser fiel in der Weimarer Zeit politisch nicht auf, gehörte offiziell keiner Partei an. Trotzdem hielt er nicht still, als Hitler an die Macht kam. Gemeinsam mit den Gießener Kommunisten Ria und Walter Deeg engagierte er sich im Widerstand gegen die Nazis. Er sammelte Spenden für inhaftierte Genossen, fertigte Flugblätter an und versuchte sich sogar den republikanischen Kräften im Spanischen Bürgerkrieg anzuschließen. Die Faschisten verhafteten Creter dafür 1937, steckten ihn erst in ein Zuchthaus und anschließend sofort in das KZ Buchenwald. Zwar überlebte er bis zu dessen Befreiung, verstarb jedoch schon bald darauf mit nur 47 Jahren an den schwerwiegenden Haftfolgen.
Nun wurde bei der jüngsten Verlegung von sechs neuen Gießener Stolpersteinen auch vor Creters letzter frei gewählter Wohnstätte in der Gnauthstraße 2 ein Gedenkstein mit seinem Namen in den Gehweg eingebracht. Es ist der zweite Stolperstein in Gießen, der für einen Widerstandskämpfer verlegt wird – seit 2013 wird in der Katharinengasse auch an Hans Rosenbaum erinnert, der gemeinsam mit Creter verhaftet wurde. Rekordverdächtige 70 Menschen, viele davon von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten, welche die Finanzierung des Steins übernommen hatte, und den Gießener Omas gegen Rechts, waren nun in der Gnauthstraße zusammengekommen, um dem Antifaschisten ihren Respekt zu zollen.
Der Wettenberger Lokalhistoriker Dieter Bender hatte sich um die Recherche gekümmert und die Verlegung beantragt. Auch Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher sprach einige Worte zu Ehren des Widerstandskämpfers und Kommunisten. »Es ist nötig, dass wir über dieses Kapitel unserer Geschichte immer wieder stolpern und es wird auch in Zukunft nötig sein.« Es gelte gerade jetzt, wo die Ausgrenzung in der Gesellschaft durch den Rechtsruck erneut zunehme, wieder dagegen anzukämpfen. »Diese Schicksale haben es daher verdient wachgehalten zu werden«, mahnte Becher. Das nun, neben den zahlreichen jüdischen Opfern in Gießen erneut auch ein Widerstandskämpfer geehrt werde, der nicht aus rassistischen, sondern aus politischen Gründen verfolgt wurde, verdeutliche, dass die faschistische Ideologie keinen Unterschied zwischen jenen mache, die sich ihr nicht bereit sind unterzuordnen.
Lob an die Mitarbeit der Liebigschüler
Schon bei der ersten Station in der Ebelstraße 5 freute sich Stolpersteinkoordinatorin Christel Buseck sichtlich über den deutlichen Zustrom an Zuschauern, welche der Verlegung für das Ehepaar Jacob und Hedwig Abt und Siegmund Lindenbaum beiwohnten. »Es ist immer schön, wenn wir hier nicht ganz alleine stehen.« Ausdrücklich lobte Buseck außerdem das Engagement der Schülerinnen und Schüler der Liebigschule, welche erneut die Recherchen und Gedenkreden zu den erinnerten Personen übernommen hatten. Auch Pfarrer Gabriel Brand, ebenfalls Teil der Koordinierungsgruppe, begrüßte den Einsatz der Jugendlichen, welche stets die historischen Schicksale der Verfolgten beleuchten, ausdrücklich. »Das gehört einfach dazu. Wir verlegen Steine für die Personen, aber die Geschichte, die soll noch einmal laut werden.«
Weiter ging es in der Alicenstraße 30, wo der Witwer Hermann Cahn seinen Wohnsitz hatte. Aus Angst vor der Deportation floh er in ein jüdisches Altersheim nach Bad Nauheim. Viele Menschen, für die eine Flucht außer Landes aufgrund ihres hohen Alters nicht mehr in Frage kam, hatten die Hoffnung hier in der Gruppe Sicherheit zu finden. »Das war leider ein ganz großer Irrtum«, bedauerte Buseck ihr Schicksal. Cahn wurde nach Theresienstadt verschleppt und starb dort 1942 an Unterernährung und Entkräftung. Ein ganz ähnliches Schicksal erlitt Jettchen Strauß aus der Bleichstraße 28. Ihr Stolperstein ergänzte die des Ehepaares Michel, in deren Haus sie ebenfalls gewohnt hatte. Das erst jetzt – die Verlegung für die Michels fand schon 2009 statt – an alle Ermordeten Hausbewohner erinnert werden könne, erklärte Buseck mit dem Rechercheverfahren, welches als ersten Anhaltspunkt stets auf die Deportationslisten zurückgreife. »Wir haben die Namen, aber nicht die Adressen«, verdeutlichte Buseck. So komme es manchmal vor, dass sich erst bei den genaueren Nachforschungen herausstelle, dass zwei Ermordete im selben Haus wohnhaft waren.
Neue Verlegungen ab Juni 2025
Diese dritte Aktion war damit auch gleichzeitig die letzte in Gießen für dieses Jahr. Die nächste ist für den Juni 2025 vorgesehen. Dann ist auch geplant, dass der Aktionskünstler Gunter Demnig die Steine wieder selbst verlegt.
Die Koordinierungsgruppe Stolpersteine Gießen betonte bei der Verlegung erneut, dass einer der beschrifteten Messingblöcke 120 Euro kostet. »Wenn Sie wollen und können freuen wir uns daher über Spenden, damit dieses Projekt auch weitergeht«, bat Pfarrer Gabriel Brand.
Mit freundlicher Genehmigung des Gießener Anzeigers vom 6.7.2024:
https://www.giessener-anzeiger.de/stadt-giessen/zweiter-stolperstein-fuer-antifaschisten-verlegt-93171616.html
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