Projekttag der Q3 zur DDR-Geschichte

v.l.n.r.: Michael Beckmann, Ingrid Miethe, Robert Krug, Mike Mutterlose, Dirk Hölscher, Birgit Schlicke.

geschrieben von Joris Zielinski

 

Es wird ungewohnt still in der Klasse, als Robert Krug den Raum betritt. Die Schülerinnen und Schüler des Geschichtskurses der 13. Klasse richten sich auf und blicken neugierig auf den DDR-Widerstandskämpfer. Er ist einer von fünf Zeitzeugen des SED-Regimes, die am Projekttag Geschichte die Liebigschule besuchen, um etwas von ihren Erfahrungen zu berichten. „Subjektive Geschichtserzählung ist uns sehr wichtig”, betonte Florian Greiner, der es sich als Geschäftsführer im Lern- und Erinnerungsort Notaufnahmelager Gießen zur Aufgabe gemacht hat, Geschichte durch menschliche Überlieferungen zu lehren.
Obwohl Robert Krug die letzten 38 Jahre als Kraftwerksingenieur in Hessen gearbeitet hat, kann er von seiner Zeit in der DDR sehr viel erzählen. „Ich bin in das sozialistische Regime hineingeboren worden und habe keine Fragen gestellt”, bedauerte er. Zunächst als Pionier und später als Freundschaftsratsvorsitzender führte Krug ein systemkonformes Leben. Als er den elitären Lebensstil der SED-Führungspersonen bemerkte, fühlte sich Krug von den Werten, die ihm beigebracht wurden, verraten. „Ich habe dabei gelernt, dass sich die Wahrheit immer durchsetzt.”
Nachdem sich der Zeitzeuge einer Widerstandsgruppe anschloss, fiel er negativ auf und wurde beobachtet. Im Jahr 1980 wurde der damals 20-jährige wegen dem Verleih eines Buches über die große Säuberung in der Sowjetunion drei Monate vor seiner Hochzeit verhaftet. Er entschied sich während der Haft gegen eine Ausreise in die BRD. „Wenn jeder geht, ändert sich nichts”, dachte sich Krug und wollte die DDR nach seiner Haft verändern. Seine Frau verließ ihn jedoch, weil ein inoffizieller Mitarbeiter der Stasi sie dazu überredete. Trotz seiner wiedergewonnenen Freiheit wurde der Widerstandskämpfer von den Agenten der Stasi ausspioniert und musste miterleben, wie ein Freund nach dem anderen verhaftet wurde. „Es war wie ein Schatten, der hinter mir her ist”, erklärte Krug seinen betroffenen Zuhörern.
Den größten Eindruck bei den Schülerinnen und Schüler machte die Hochzeit zwischen Robert Krug und einer Mitarbeiterin der Stasi, die ihn beobachten sollte. Wohlwissend, was ihn erwarten würde, verteilte er am Alexanderplatz Flugblätter gegen die atomare Aufrüstung, was zu einer erneuten Verhaftung führte. Dank eines Häftlingsfreikaufes durch die Bundesrepublik endete Krugs Aufenthalt in der DDR mit seiner Ankunft im Gießener Aufnahmelager. Unvorstellbar für alle Zuhörer war die Erzählung Krugs von seinem ersten Genuss einer Kiwi. „Ich wusste nicht, wie ich sie essen sollte und habe an der Schale geleckt”, erinnerte er sich lachend.
Im Anschluss an den emotionalen Vortrag Krugs hatten die Schülerinnen und Schüler noch reichlich Gelegenheit, Fragen zu stellen. Sie interessierten sich dabei auch für seine aktuelle Meinung zur deutschen Politik und dem, was er in der DDR gelernt hat. „Ich bin sehr kritisch gegenüber jeglichem Gleichklang”, stellte Krug fest. „Ich habe aber gelernt, dass sich die Freiheit immer durchsetzt.”
Bevor die Zeitzeugen in die jeweiligen Kurse gingen, um von ihren Erfahrungen zu berichten, trafen sie sich zu einem Kaffee mit Lehrkräften und dem Rektor der Liebigschule, Dirk Hölscher. „Sie haben so viele spannende Dinge zu erzählen”, freute sich dieser und bedankte sich für die Teilnahme sowie bei Nicola Roether, der Organisatorin des Projekttages. In der Kaffeerunde stellten sich neben Robert Krug auch die anderen
Zeitzeugen vor. Sie alle hatten etwas Besonderes zu erzählen. So erlebte Ingrid Miethe die Wende noch im Osten und engagierte sich im Neuen Forum. Sie ist heute Professorin für Erziehungswissenschaften und spürt die Ablehnung vieler Ostdeutscher noch heute in akademischen Berufen. „Der kalte Krieg steckt noch in den Köpfen”, unterstrich sie.
Mike Mutterlose wuchs in einer zerrissenen Familie auf und versuchte trotz Verbotes den Kontakt zum Westen nicht zu verlieren. Zusammen mit Freunden strebte er eine Flucht an, doch kam ebenfalls erst in der Haft durch einen Freikauf in die BRD.
Einzigartige Erlebnisse hatte Michael Beckmann, der mit Westfernsehen aufwuchs und seit er mit der amerikanischen Flagge in die Schule gekommen war, unter Beobachtung gestellt wurde. „Es hat mich fertig gemacht, mich verstellen zu müssen, aber hat auch mein Leben geprägt”, bemerkte der inzwischen sehr erfolgreiche Unternehmer.
Auch Birgit Schlicke kam im Gießener Aufnahmelager an, gab allerdings zu, währenddessen nicht viel mitbekommen zu haben. „Es war wie ein Film”, erinnerte sie sich. Aufgrund des Tippens eines systemfeindlichen Briefes für ihren Vater wurde Schlicke verhaftet. Sie ist sehr froh gewesen, im Westen anzukommen und verbindet ihre ersten Stunden in der BRD mit dem Geruch von Mandeln auf dem Weihnachtsmarkt.

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