Mahnmal gegen Antisemitismus
von Jens Riedel (Gießener Allgemeine), mit freundlicher Genehmigung
Sie erinnern an Gießener, die im Nationalsozialismus deportiert, ermordet oder in den Selbstmord getrieben wurden: Sechs weitere Stolpersteine mit eingravierten Namen von Opfern sind am Donnerstag in der Ostanlage, in der Ludwigstraße und in der Löberstraße verlegt worden.
Paula Bella Heichelheim, Isaak Sonn, Babette Sonn, Martha Asch, Louis Mendelssohn, Jenny Mendelsohn: Am Donnerstag hat ein städtischer Mitarbeiter zusammen mit Schülerinnen und Schülern der Klasse 10c der Liebigschule in Gießen sechs weitere Stolpersteine für jüdische Bürgerinnen und Bürger verlegt. Mit den Steinen wird die Erinnerung an die Vernichtung von Juden, Sinti und Roma, politisch Verfolgten und Euthanasieopfern im Nationalsozialismus lebendig gehalten. Seit April 2008 wurden in Gießen und den Stadtteilen rund 200 Stolpersteine, in die Namen auf einer Messingplatte eingraviert sind, an Stellen einbetoniert, wo die Opfer des NS-Regimes ihren letzten frei gewählten Wohnsitz hatten. Der Künstler Gunter Demnig, der die Idee zu den Steinen hatte, war diesmal nicht bei der Verlegung dabei.
»Hinter jedem Stein steht ein Leben, eine Geschichte. Die Steine sind Mahnmale gegen den Antisemitismus, der wieder stärker wird in diesem Land. Geschichte bewusst zu machen, ist deshalb sehr wichtig«, sagte Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher, der an der Verlegung der Mahnsteine ebenso teilnahm wie Pfarrer Gabriel Brand, Christel Buseck, Ursula Schröter und Monika Graulich. Diese vier Personen gehören der »Koordinierungsgruppe Stolpersteine Gießen« an, die die Liste der Opfer zusammenträgt und die Steineverlegung vorbereitet.
Zu den Menschen, denen die neu verlegten Steine gewidmet sind, zählt Paula Bella Heichelheim (Jahrgang 1879), geborene Simonsfeld. Sie war mit dem Mitbegründer des Bankhauses Gebr. Heichelheim, Albert Heichelheim, verheiratet. »Das Ehepaar wohnte im Haus der Bank in der Johannesstraße 17 in Gießen«, erzählte Liebigschülerin Helene Knocke. Albert Heichelheim war später Teilhaber bei seinem Onkel Siegmund Heichelheim (nach dem in Gießen eine Straße benannt ist) im Bankhaus Aron Heichelheim in Gießen. Albert Heichelheim starb 1919 im 51. Lebensjahr. Paula Bella wohnte ab August 1938 in der Ostanlage 49 – wo sich heute das Großkino befindet – und wurde am 16. September 1942 aus dem Ghettohaus in der Landgrafenstraße 8 in das besetzte Polen deportiert. Dort wurde sie ermordet. Ihr Stolperstein liegt nun ebenso in der Ostanlage wie die Steine für Isaak und Babette Sonn, geborene Hertz.
Gedemütigt und entrechtet
Isaak Sonn (Jahrgang 1876) war Inhaber eines Farb- und Materialwarenhandels, den er zum Mineralölhandel ausbaute. Er floh – wie Schüler Anton Reuter berichtete – aufgrund von Demütigung und Entrechtung am 27. Dezember 1938 vor den Nationalsozialisten nach Luxemburg, wo er sein Leben am 19. September 1940 durch Selbstmord beendete. Seine Frau Babette (Jahrgang 1888) blieb nach der Flucht ihres Mannes zunächst in Gießen und wurde 1941 in das Ghettohaus in der Walltorstraße 42 gebracht. Im September 1942 brachten die Nazis sie ins besetzte Polen und ermordeten sie. »Ihr genaues Todesdatum ist nicht bekannt«, sagte Schüler Emil Alban.
Weitere Stolpersteine wurden für Martha Asch (geborene Oppenheimer) in der Ludwigstraße 14 sowie für Louis und Jenny Mendelsohn (geborene Nussbaum) in der Löberstraße 26 in den Boden eingelassen. Die Stolpersteine werden durch Spenden finanziert. Junge Menschen aus der Jungen Kirche in Gießen werden die Steine als Paten künftig regelmäßig reinigen.
https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/mahnmale-gegen-antisemitismus-93075509.html
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