Lina Thiede ist “Back to school”
Die mehrfach ausgezeichnete Autorin Lina Thiede ist auf Heimatbesuch in Gießen und für eine Lesung in die Liebigschule gekommen.
geschrieben von Barbara Czernek
Gießen (bcz). »Back to school« hieß es jetzt für die junge Autorin Lina Thiede. Vor zehn Jahren machte sie an der Liebigschule ihr Abitur. Am Donnerstagabend kehrte die bereits mehrfach ausgezeichnete Jungautorin für eine Lesung zurück.
»Es fühlt sich merkwürdig an. Alles sieht noch genauso aus wie damals«, erklärte sie. Zumal es der Ort ist, an dem die 28-Jährige ihre Kreativität entdeckte, als sie ellenlange Texte auf dem Schulhof verfasste. Dokumentiert ist dies in der Abizeitung des Jahrgangs 2015, woraus ihre damalige Leistungskurslehrerin Claudia Reinhardt zu Beginn der Lesung genüsslich zitierte. »Hier zu sein ist auch ein wenig wie ein schriftstellerisches Nachhausekommen«, meinte Lina Thiede. Ausdrücklich dankte sie ihren damaligen Deutschlehrern, die ihr immer Mut gemacht hätten, weiterzumachen. So wurde sie unter anderem mit dem OVAG-Jugendliteraturpreis, dem hr2-Literaturpreis sowie mehrfach vom Jungen Literaturforum Hessen-Thüringen ausgezeichnet. Nach ihrem Abitur studierte die Gießenerin Komparatistik, Musikwissenschaft und Theorien und Praktiken professionellen Schreibens in Saarbrücken, Bonn und Köln. Mittlerweile lebt sie in Köln, ist Mitherausgeberin des Literaturblatts »Handjob« und organisiert die Schreibwerkstatt »das Kölner Frauen:zimmer«.
Die junge Autorin hat bereits zahlreiche Erzählungen verfasst, die aber noch nicht alle veröffentlicht sind. Zur Lesung am Donnerstag brachte sie zwei ihrer »Oma-Geschichten« mit, die den Wahnsinn im Alltäglichen liebevoll bis skurril beschreiben, teilweise auch in surrealer Atmosphäre.
Den Hang zu ungewöhnlichen Plots lebt Lina Thiede in ihren Romanen aus, von denen sie bereits zwei verfasst hat. Darin beschreibt sie Zukunftsvisionen, die eher düster sind. Das Geschriebene steht im Gegensatz zu der freundlichen, zugewandten Person, die sich dem Publikum in der Liebigschule präsentierte.
2020 erschien ihr erster Roman »Homo Femininus«, eine Dystopie, die um Sex, Gewalt und Unterdrückung von Frauen kreist. Auch ihr jüngster Roman »Manchmal weißt Du, was geschehen wird« zählt zur Climate Fiction, einer Variante der Science-Fiction. Der Roman setzt sich mit der Klimakrise und deren Auswirkungen auf die Menschheit auseinander. Er spielt im 22. Jahrhundert, dort scheint das Problem der menschlichen Ernährung gelöst, die großen Krisen sind überwunden und die Welt glaubt sich in einem gerechteren, friedlicheren Zustand zu befinden. Das Problem der Ernährung der Welt scheint ebenfalls gelöst. Nutritor:innen werden für den Großteil der Bevölkerung zur einzigen Nahrungsquelle. Sie verfügen über eine Nabelschnur, über die die Menschen versorgt, aber auch abhängig gemacht werden.
Da das Buch allerdings erst am Freitag offiziell erschien, konnte sie zwar daraus vorlesen, es aber nicht vor Ort verkaufen, was von vielen Besuchern bedauert wurde. Den Roman hatte sie bereits seit zwei Jahren fertig in der Schublade, ihr Literaturagent hatte ihn für sehr gut befunden, dennoch hagelte es zunächst nur Absagen seitens der Verlage, berichtete sie. 2024 bewarb sie sich beim Berliner Preis für Science-Fiction mit der Geschichte »Du kannst mich haben«, die nichts anderes war als eine Kurzfassung ihres Romans. Sie gewann den Preis, und auf einmal interessierte sich auch der Radiator Verlag für die Geschichte. »Man muss mit dem Frust fertigwerden, und lernen, mit dem Scheitern umzugehen«, berichtete sie über ihre Erfahrungen im Literaturbetrieb. »Weitermachen ist meine Devise.« Seit dem vergangenen Jahr kann sie auch von ihrem Schreiben leben. Um dies zu erreichen, haben ihr auch die zahlreichen Stipendien und Unterstützungen geholfen.
Für maßvolles Innehalten in musikalischer Form sorgte Emil Alban mit seinem klangvollen Klavierspiel. Er spielte Stücke von Bela Bartók, den »Maple Leaf Rag« von US-Komponist Scott Joplin sowie »Anthem« der Indierockband Yonaka, letzteres auf Wunsch der Autorin, da sie das Stück beim Schreiben häufig gehört hatte.
https://www.giessener-anzeiger.de/stadt-giessen/back-to-school-in-giessen-93641071.htmlL
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